1. Interfaces als grundlegende Kategorie zeitgenössischen Produktdesigns
An dieser Stelle möchte ich Potenziale und Probleme des Gestaltens in Netzwerken betrachten. Dabei möchte ich auch einige Aspekte von Designforschungsprojekten, die ich unter dem Label ‘hybride Interfaces’ etwa seit 2017 verfolge, vorstellen. Die Form dieses Webbooks ist vielleicht dem Wesen des Themas geschuldet, das sich ständig ändert und neue Begriffe und Strömungen hervorbringt. Nicht alle Quellen sind einheitlich formatiert, und werden zur Zeit noch geordnet. Aber die Quellen sind zurückverfolgbar.
Der folgende Abschnitt diskutiert folgende Begriffe: Zeichencharakter und strukturierender Charakter des Interface. Was ist ein Interface? Das Interface verweist als Zeichen auf ein System, respektive heute vielmehr auf ein Netzwerk. Ein Interface bildet nicht etwas ab und kann daher auch nicht auf den Screen/das Display begrenzt sein.
»We are all Cyborgs«, proklamierte der Tech-Entrepreneur Elon Musk im Juni 2017. In Zukunft müssten wir immer mehr mit den Maschinen verschmelzen. Unser Überleben wäre nur dann gesichert, wenn wir unsere Körper um digitale Werkzeuge erweitern können. Zu diesem Zweck stellte er einen Chip vor, der Nutzer*innen implantiert werden sollte. Anhand des Chips, so die Idee, sollte ein nahtloser Übergang zwischen unserem Denken und der digitalen Maschine möglich werden. Was Musk hier imaginiert, ist nichts weniger als die absolut radikalisierte Version der nahtlosen Mensch-Maschine Interaktion (HCI). Indem der Mensch selbst Teile der Maschine in sich trägt und mit der Maschine in unmittelbarer Verbindung steht, braucht es keine Umwege oder Übersetzungsprozesse mehr, die eine Verbindung zwischen Mensch oder Maschine herstellen.
Damit steht Musks Vision in einer Linie mit einem alten Traum des Designs, die kommunikative Dimension von Design – das Interface – so unauffällig wie möglich zu gestalten. Mit der zunehmenden Digitalisierung hat das Design immer mehr den Nutzer ins Zentrum des Entwurfsprozesses gestellt. Es gab immer weitere Ansätze, die Schnittstelle, respektive das Interface von digitalen Anwendungen, aber auch von industriellen Produkten noch unmittelbarer zu gestalten, und anhand von Sprachsteuerung, durch Gesten usw. die Nutzerinteraktion von Produkten und Anwendungen zu verbessern.
Was zugleich klingt wie ein Phänomen, das man erst in der jüngeren Designgeschichte beobachten kann, ist eigentlich ein Phänomen von Design an sich: das Interface. Die Idee, dass uns Dinge ganz grundlegend erst einmal zugänglich, in der Sprache Heideggers gesagt: ‚zuhanden‘ sein müssen, keinesfalls neu. Interfaces sind nicht nur Oberflächen von Websites, sie sind vielmehr – beginnend mit beispielsweise dem Griff eines Hammers oder einer Schere – notwendig, damit wir Alltagsdinge benutzen können. Die Vereinfachung und Gestaltung digitalisierter Kommunikation rückt außerdem mit der Corona-Pandemie in den Blick, weil sie bisher auf unmittelbarer Intersubjektivität basierende Lehrformate an Universitäten von der körperlichen Präsenz entkoppelt hat.
Alltagsprodukte wie Haushaltsgeräte, Smartphones, aber auch virtuelle Installationen basieren wesentlich auf der Interaktion mit uns Nutzer*innen. Ohne Interfaces können wir Produkte nicht verstehen, nicht benutzen, und sie entfalten, pragmatisch gesprochen, nicht ihren für uns bestimmten Sinn. Ohne Interface sind die Dinge für uns quasi ‚stumm‘. Erst im Gebrauch werden die Dinge zu sinnvollen Akteuren in ihrem Zusammenhang mit noch weiteren Techniken, Handlungen und Nutzer*innen. Kurz gesagt: Wir werden der Funktionalität dieser Dinge erst dann gewahr, wenn wir sie benutzen, und indem wir die Dinge benutzen, können sie erst ihre Wirkung als Objekt entfalten. Heidegger hat dies als ‚Widerständigkeit‘ beschrieben und in der Zeuganalyse gezeigt, wie uns ebendiese Wirkung des Objekts eben erst dann auffällt, wenn ein Gegenstand nicht mehr funktioniert.
Den Gedanken von Heidegger auf das Design zu übertragen heißt, Strukturen, respektive Systeme derart zu gestalten, dass sie in ihrer dahinter liegenden Struktur nicht sichtbar werden. Daher ist es auch eine Herausforderung des Interface-Designs, das Interface so weit wie möglich zum ‚Verschwinden‘ zu bringen, also ‚unsichtbar‘ zu gestalten, wie im Fall des implantierten Chips von Elon Musk. Denn paradoxerweise handelt es sich beim Interface, wie wiederum Lucius Burckhardt mit Blick auf Stadtplanung einmal gesagt hat, um ‚unsichtbares Design‘, das erst dann, wenn es sichtbar wird, sich in den Vordergrund drängt, problematisch wird. Darin unterscheidet sich das Interface zugleich von allem, was man zunächst vom Design als einer Wissenschaft der Symbole, der Formen und der Techniken vermuten wurde. Das Interface ist keine Oberfläche, vielmehr handelt es sich um einen komplizierten Zusammenhang von Prozesshafter Interaktion und konkreter (Form-)Gestaltung. Interfaces sind, dem Designtheoretiker Gui Bonsiepe zufolge, Entitäten, die Vorhandenes in ‚Zuhandenes‘ verwandeln. Ohne Interface ist ein Ding blosse Vorhandenheit. Genau genommen entzieht sich das Interface dabei auch der konkreten sinnlichen Erfahrung, in dem es solche Erfahrungen in Bezug auf Gebrauchsdinge oder sogar Räume eher strukturiert, als dass es diese Strukturen repräsentiert. Das Interface, so die Beobachtung, hat daher keinen Repräsentationscharakter, es hat strukturierenden Charakter – ich komme darauf in Bezug auf die Diskussion von Screen-Design noch zurück.
Der Erfolg des Interface Designs liegt nicht zuletzt darin, dass das Design nach einer langen Zeit der Fokussierung auf das technische Verständnis von Design als Vermitteln zwischen Form und Funktion endlich die Nutzer*innen ins Zentrum der Gestaltungsprozesse rückte. Gui Bonsiepe beschrieb daher 1992 in seinem Text ‚Interface. Design neu begreifen’ einen Paradigmenwechsel gegenüber der bisherigen Fokussierung moderner Gestaltungstheorien auf Funktionalität. Gui Bonsiepe hat ausgehend von Heidegger einen Begriff des Interfaces konturiert, der ebendiesen Zusammenhang in einem ‚ontologischen Diagramm‘ erfasst: »Anstelle der Auffassung, dass der Designer Hüllen für die von Ingenieuren entworfenen technischen Strukturen gestaltet, kann ein hermeneutisch differenziertes Schema zur Erklärung dienen – das ontologische Designdiagramm.« (Bonsiepe 1993, S. 19.) Das Diagramm, erklärt Bonsiepe weiter, ist in drei ‚Domänen‘ unterteilt: einen ‚sozialen Agenten‘, der eine Tätigkeit ausführen möchte, eine ‚Aufgabe‘ sowie ein ‚Werkzeug oder Artefakt‘. Diese Domänen werden durch das Interface in Bezug zueinander gesetzt, sodass sie miteinander in Verbindung stehen. Ontologisch, so kann man vermuten, ist das Diagramm in Bonsiepes Beschreibung deshalb, weil es den Seinscharakter von Design an sich begründet. »Interface ist der zentrale Bereich, auf den der Designer seine Aufmerksamkeit richtet. Durch das Design des Interface wird der Handlungsraum des Nutzers von Produkten gegliedert. Das Interface erschließt den Werkzeugcharakter von Objekten und den Informationsgehalt von Daten. Interface macht aus Daten verständliche Informationen. Interface macht aus bloßer Vorhandenheit – in heideggerscher Terminologie – Zuhandenheit « (Bonsiepe 1993, S. 20). Eine Schere zum Beispiel kann nur wegen ihres Griffs als Schere genutzt werden. Die Schneiden alleine machen die Schere nicht zur Schere, und der Griff verbindet den Körper mit dem Werkzeug, sodass man ‚strukturelle Kopplung‘ zwischen Körper und Werkzeug entsteht, die es ermöglicht, eine Handlung auszuführen (Bonsiepe 1993, S. 24). Eine Schere ermöglicht aufgrund ihrer Form und aufgrund ihrer Struktur die Benutzung als Schere. Dabei setzt Bonsiepe voraus, dass dass Interfaces sich nicht allein auf Oberflächen, etwa auf die Oberfläche eines Bildschirms reduzieren lassen. Vielmehr bilden auch Gegenstände des täglichen Gebrauchs ein Interface. Die materielle Umsetzung und die konkrete Form des Scherengriffs bestimmen dabei wesentlich unsere Interaktion mit dem Produkt.
Dennoch wäre es ein Missverständnis, allein den Scherengriff selbst schon als das Interface zu verstehen. Dies wäre ein ebenso verkürztes Verständnis von Interface wie dessen Reduktion auf die Oberfläche des Bildschirms, weil dieses Verständnis auf die ergonomische Form der Schere reduziert ist. Das Interface muss vielmehr einen Zusammenhang herzustellen zwischen dem Objekt und dem Benutzer. Der Gestalter bestimmt hierbei diejenigen Aspekte eines Objekts, die es dem Nutzer zugänglich machen. So argumentierte Bonsiepe, »[…] daß das Interface nicht eine Sache ist, sondern die Dimension, in der die Interaktion zwischen Körper, Werkzeug (Artefakt, sowohl dingliches wie zeichengebundenes Artefakt) und Handlungsziel gegliedert wird. […]« (Bonsiepe 1993, S. 20). Das Interface ist dabei als neue Kategorie des Designs aufzufassen, die für Bonsiepe historisch an Stelle des Paradigmas der Funktionalität tritt. (Bonsiepe 1993, S. 26). Das Interface hat im Design dann im nächsten Schritt eine doppelte Bedeutung, sofern es in vielen Fällen Teil und Produkt des Designprozesses zugleich ist. Es ermöglicht einerseits, bestimmte Handlungen durchzuführen, ist aber auch selbst Gegenstand von Gestaltung. Also geht es nicht darum, Design ins immaterielle zu ziehen. » Im Gegenteil, Interface zielt weiter als die duale Charakterisierung Materiell/Immateriell. Interface faßt das ihnen Gemeinsame. Interface gilt für den Entwurf eines Schraubenschlüssels genauso wie für die Gestaltung einer medizinischen Software […]« (Bonsiepe 1993, S. 20).
Bonsiepes Arbeiten zeigen nicht nur die Relevanz von Interface als solchem, sie zeigen auch: Das Interface-Design und dessen designtheoretische Konzeption haben eine umfangreiche Geschichte, die von den Projekten an der HfG Ulm in der Abteilung Information über das berühmte Cybersyn-Experiment im Chile der Unidad Popular (Das Cybersyn-Projekt war eine Art vorläufiges Internet aus Fernschreibern, das im Chile der Unidad Popular zu Beginn der 1970er Jahre mit dem Ziel konzipiert wurde, die Kommunikation der Wirtschaft zu steuern) und Krippendorffs ‚Semantischer Wende‘ als Gegenposition zur HfG reicht.
Heutige Interface-Konzeptionen handeln von komplizierten Gebilden zwischen Produkt und Prozess, zwischen Digital und Analog und zwischen Mensch und Maschine. Entgegen Ideen von Digitalität, die auf eine eindeutige Einordnung von Interface abzielen, möchte ich daher den Begriff der Hybridität nutzen, um beschreiben zu können, was das Besondere jener Designphänomene ist, um die es mir geht. Mit Hybridität meine ich, dass diese Interfaces sich eindeutiger Kategorisierungen zu entziehen vermögen.