2. Hybridität
Interfaces befinden sich zwischen analoger und digitaler Materialität. Darin stehen sie einer Auffassung von Gestaltung gegenüber, die stattdessen anhand klassischer kybernetischer Digitalitätsbegriffe von einem digital-analog Dualismus ausgeht.
Mit Hybridität meine ich solche Projekte, die sich weder ganz als etwas ‚digitales’ noch ganz als etwas analoges einordnen lassen wie Cybersyn – oder wie bei der Figur des Cyborgs bei Elon Musk die Grenze zwischen Mensch und Maschine einreißen, ich meine auch Projekte, bei denen es nicht auf eine fixierte Form ankommt, sondern wo anhand von Plattformdesign Design Interface und Produktedesign stattfindet – etwa im Open Design (Open Structures, Thingiverse, Figma etc.). Meine Beispiele entnehme ich dem zeitgenössischen Designdiskurs sowie historischen Ideen. Deutlich wird eine produktiv verstandene Hybridität besonders an Figuren wie der Cyborg, die Donna Haraway in den 1980er Jahren und auch heute noch als Metapher für einen digitalen Feminismus diente, die aber auch (in stark vereinfachter Form) Vorbild für Elon Musks Zukunftsvision ist. Hybridität ist, wie ich meine, ein Merkmal des Interfaces an sich. Interfaces können uns qua Definition nie in nur einer Hinsicht, also zum Beispiel als vor allem digitale, Entität gegeben sein. Sie müssen per se hybride Entitäten sein, weil sie Beziehungen zwischen unterschiedlichen Sphären herstellen. Es wäre daher reduktionistisch, das Interface auf die Oberfläche des Bildschirms beschränken zu wollen. Der Begriff der Hybridität wird hier im ersten Kapitel erörtert, aber im weiteren Verlauf der Arbeit anhand von Beispielen und in einem Spannungsfeld zu jenen (Digitalitäts-) Begriffen, konturiert werden, die von einem nicht-hybriden Charakter des Interfaces ausgehen.
Man kann eine Hybridität der Medien, aber auch von Technik und Mensch außerdem als zentrales Konzept postmoderner Medientheorien verstehen. Marshal Mc Luhan zum Beispiel hat in Understanding Media (1964) auf die Vermischung und Verknüpfung von verschiedenen Medien, Technologien und Kulturen hingewiesen. McLuhan betont, dass neue Medien nicht einfach alte Medien ersetzen, sondern sie miteinander verknüpfen und hybridisieren, wodurch sie eine neue Art von Kommunikation und Kultur schaffen.
McLuhan argumentiert, dass diese Hybridisierung von Medien und Technologien die Art und Weise verändert, wie wir kommunizieren, lernen und uns miteinander verbinden. Hybridität ist für McLuhan ein wichtiger Aspekt des Verständnisses von Medientechnologien und ihrer Auswirkungen auf die Gesellschaft.
In diesem Zusammenhang spielt die Hybridität eine zentrale Rolle in McLuhans Theorie der globalen Dorfgemeinschaft, die auf dem Konzept einer weltweiten Kommunikation und Verbindung aufgrund der Verbreitung elektronischer Medien basiert.
Solchen progressiven umfassenderen Ideen von Interface gegenüber sehe ich Begriffe von Interface-Design, die Interface als bloßes Screen-Design verstehen. Hier wird im Zuge eines bestimmten Medienverständnisses das Interface in einer alltäglichen Unterscheidung von Digitalem und analogem allein dem Digitalen zugeschlagen, weil der Screen als etwas Digitales verstanden wird. Das Digitale ist dabei dem konkreten ‚Material‘ entgegen gesetzt. Zu dieser Unterscheidung schreibt zum Beispiel der Medienwissenschaftler Jens Schrödter: »Jenseits ihrer modischen Besetzung ist die Differenz analog/digital […] zur zentralen Unterscheidung der Mediengeschichtsschreibung avanciert. Der Umbruch von den analogen zu den digitalen Medien, womit zumeist der von fotografischen und analog-elektronischen Bild- bzw. analog-elektronischen/mechanischen Tonmedien zu ihren digitalen Nachfolgern gemeint ist, wird oft als welthistorische Zäsur verstanden. Er erscheint als Einschnitt, dessen Bedeutung vermeintlich nur an dem Auftauchen der analogen Medien im 19. Jahrhundert, dem des Buchdrucks oder gar dem der Schrift gemessen werden kann.« (Jens Schrödter: Analog/Digital – Opposition oder Kontinuum? in: Schrödter/ Zens: Analog/Digital – Opposition oder Kontinuum? Zur Theorie und Geschichte einer Unterscheidung Bielefeld: Transcript 2015, S. 8). Eine Frage, die sich zu dieser grundsätzlichen medialen Unterscheidung stellt, ist, wie Schrödter weiter argumentiert, wann sie begonnen hat. Handelte es sich erst mit Beginn der Computertechnologie oder schon früher um eine für unsere Kultur prägende Differenz? Gab es die Unterscheidung vielleicht bereits mit »[…] Anbeginn der Schrift bzw. der Sprache, insofern diese (etwa im Unterschied zu Bildern) auf diskreten Zeichenrepertoires beruht […]« (Schrödter 2015, S. 9). Schrödter plädiert dafür, nicht erst mit der konkreten technischen Veränderung durch die Digitalisierung von einer Differenz zwischen Abstraktem und Konkretem, also zwischen diskreten Zeichnen und Dingen auszugehen. Es handelt sich um eine kulturelle Veränderung, ein Gedanke der durchaus Konjunktur hat. Die kulturelle – und nicht nur technische Dimension – betont beispielsweise auch Felix Stalder. Er verweist in seinem Buch Kultur der Digitalität darauf, dass das Digitale (und damit vermutlich implizit auch die Differenz Digital-Analog) per se eine Kontinuität unserer Kultur bildet. Wobei das zur-Verfügung-stehen bestimmter Technologien bestimmte Prinzipien wie Open Source, die etwa im Whole Earth Catalogue angedacht waren, erst in die Breite getragen haben. Stalder macht auch darauf aufmerksam, dass es verkürzt wäre, das Digitale nur als Technik zu sehen. Und Claus Pias spitzte den Gedanken sogar noch weiter zu: »Digitalisierung gibt es nicht« lautete der Titel seines Artikels in der FAZ vom 31.07.2019, der vor allem jene kritisierte, die meinen, ‚die Digitalisierung‘ müsse noch durchgeführt werden, sei unzureichend, oder wir würden ‚der technischen Innovation‘ hinterherhinken. Solche Anrufungen sind schwierig, weil sie einerseits eine Revolution ‚von Außen‘ suggerieren, die uns betrifft, aber die wir nicht gestalten könne. Andererseits lassen sie die kulturelle Dimension des Digitalen außer Acht. Anders gesagt: Die Veränderungen, die gemeint sind, wenn von ‚Digitalisierung‘ die Rede ist, sind nicht eine ‚technische Revolution‘ sondern eine kulturelle Veränderung. Ein Dualismus von Kultur und Technik wäre hier also ebenfalls eine reduktionistische Sichtweise. Claus Pias’ Artikel machte deutlich, dass eine allein technische ‚Digitalisierung‘ nicht existiert.
Gleichwohl, so merkt es Jens Schröder an, ist es beim Sprechen über Phänomene des Digitalen weiterhin sinnvoll, auf die Unterscheidung digital/analog einzugehen – sofern das Angeben der Unterscheidung Orientierung verschafft. Ich habe beobachtet, dass Gestalter*innen in ihrem Prozessen dies für sie ‚brauchbare‘ Unterscheidung annehmen, wenn davon die Rede ist, dass sie ‚digital‘ oder umgekehrt mit ‚analogem‘ Material arbeiten. Digital sind dann diejenigen Dinge, die sich ‚auf dem Bildschirm‘ befinden, während als ‚analog‘ solche Dinge gelten, die gezeichnet, modelliert oder in irgendeiner anderen Art und Weise in der Werkstatt sowie anhand von ‚Material‘ produziert worden sind.
Dies, so problematisiert Jens Schröder eine solche Praxis des Sprechens über Digitalität, setzt jedoch allzu schnell ein alltägliches Verständnis der Unterscheidung voraus: »Jede/r scheint zu wissen, was ‚analog‘ und ‚digital‘ bedeuten – und jede/r scheint vorauszusetzen, dass jede/r es genauso sieht.« (Schrödter 2015, S.10. Dennoch zeigen meine Beispiele und auch die Geschichte der Kybernetik, auf die Jens Schrödter dann verweist, dass dies keinesfalls klar ist. So kann uns streng genommen die symbolische Ebene des Digitalen gar nicht als solche gegeben sein. Die Ebene des Codes kann uns immer nur durch ein – wie auch immer gestaltetes Interface – vermittelt sein. Die Dinge, die uns auf dem Bildschirm und im CAD-Programm erscheinen und die wir konstruieren sind von zeichenhafter Art.
Dabei denke ich auch an die Arbeitsweise der Designer bei Braun, deren Prozess aus den späten 1990er Jahren ich später noch genauer erörtern möchte. Dieser Teil des Braun-Entwurfsgeschehens ist in der aktuellen Designdiskussion meist unter dem Radar, weil im Übergang zur digitalen Entwurfsprozessen entstandenen Produkte weit entfernt sind vom Ideal der guten Form eines Dieter Rams. Bei Braun kann beobachtet werden, dass ab den 1990er Jahren eine klare Trennung von digitalem und analogem Entwerfen vorausgesetzt war. So wurden hier für Arbeitsschritte des Entwerfens und Konstruierens eigene ‚CAD-Designer‘ herangezogen, die im speziellen Arbeitsfeld des ‚digitalen‘ arbeiteten, und die Pläne und Konstruktionen für die Modelle lieferten, die dann von wiederum anderen Spezialisten in der Werkstatt produziert wurde. So können wir feststellen, dass sie Arbeitsprozesse im Design bis heute prägte und unser Denken über Designprozesse bis heute strukturiert.
Auch der Frankfurter Warenästhetiker Wolfgang Fritz Haug setzt einen solchen – aus meiner Sicht unproduktiven – Begriff von Digitalität und dann auch von Interface voraus, wenn er schreibt: »Mit dem Computerprogramm als Ware hat »Oberfläche« zusätzlich zum Design des Gehäuses eine weitere Bedeutung bekommen: die der »Benutzer-Oberfläche«, der Schnittstelle von Mensch und Maschine. Wenn beim Handwerkszeug die Gebrauchsgestalt selbst zugleich Zeichencharakter hat, so ist dies bei der Mikroelektronik nicht der Fall.« (Wolfgang Fritz Haug: Kritik der Warenästhetik, gefolgt von Warenästhetik im High-Tech-Kapitalismus, Suhrkamp 2009, S. 224). Hier kritisiert Haug die Gestaltung von Interfaces als von ihren Inhalten entkoppelt. Darin liegen sie auf einer Ebene mit der Werbung und dem sonstigen Design, das bloss Varianten von Oberflächen gestaltet, aber nichts wahrhaft Neues schafft. Das Design von Oberflächen ist dann per se schlecht, auch weil es Komplexität reduziert: »Die Benutzeroberfläche blendet die Frage der Erklärung aus zugunsten eines Pragmatismus der Handhabung.« (Haug 2009, S. 225). Dass jener Pragmatismus aber eine notwendige Bedingung nicht nur der Funktionalität von Interfaces sondern auch von Teilhabe an Technik und Kultur darstellen kann, wird von Haug nicht weiter diskutiert. Bessere Interfaces, die Nutzung von Programmen ermöglichen, haben wie ich meine, Teilhabe an Gestaltung überhaupt erst ermöglicht – und zu einer breiteren Verankerung der Designdisziplinen in der Kultur geführt. Schon das erste Grafikprogramm, Ivan Sutherlands »Sketchpad«, das er 1963 am MIT entwickelte, war als Anwendungsorientiertes für Designer:innen und Künstler*innen konzipiert worden, die keine Programmierkenntnisse haben. Weite Teile des Industriedesigns haben sich außerdem in ganz ähnlicher Weise, der Gestaltung und Gliederung von Strukturen technischer Geräte gewidmet, sodass diese leichter zu handhaben sind und sich als Objekte auch formalästhetisch in unseren Alltag integrieren. Dabei denke ich zum Beispiel an die Braun-Geräte oder an Ettore Sottsass’ Valentine-Schreibmaschine. Auch diese Entwürfe zeigen, dass Interfaces sich keinesfalls nur auf die Oberfläche des Bildschirms beschränken. Auch ein Scherengriff kann ein Interface sein. Würde man hingegen Haug folgen, so würde das vermutlich wichtigste Potenzial des Interface-Begriffs verschenkt: Den Zusammenhang zwischen gestalteten Ding und Nutzer zu beschreiben, und zwar auch mit Blick auf solche Dinge bei denen die Gestaltung dieses Zusammenhangs nicht derart in den Vordergrund rückt wie beim UX Design. Wir würden solche produktiven Seiten des Interface vergessen, wenn wir das Interface als Oberflächenphänomen missverstehen würden, wie in Haugs Beschreibung in seiner aktualisierten Version der ‚Kritik der Warenästhetik im High-Tech-Kapitalismus‘, die mehr eine Ablehnung aller designten Dinge an sich zu sein scheint.
Des Weiteren scheint mir in diesem Zusammenhang die Unterscheidung von Zeichen als Struktur versus Zeichen als Repräsentation wichtig zu sein. Zeichen als Struktur beziehen sich auf die Art und Weise, wie Zeichen organisiert und verknüpft werden, um eine bestimmte Bedeutung auszudrücken. Hier geht es um die Form und die Struktur des Zeichens selbst.
Zeichen als Repräsentation beziehen sich auf die Bedeutung, die einem Zeichen zugeschrieben wird. Hier geht es um die Verbindung von Zeichen und Bedeutung, also um den semantischen Aspekt.Die Unterscheidung von Zeichen als Struktur und Zeichen als Repräsentation ist besonders relevant bei der Analyse von Interfaces, die oft als Schnittstelle zwischen Menschen und Technologie dienen. Interfaces nutzen Zeichen, um Informationen darzustellen und zu vermitteln. Die Art und Weise, wie diese Zeichen präsentiert werden (als Struktur) und was sie repräsentieren (als Repräsentation) kann den Benutzern helfen oder behindern, die gewünschten Aufgaben auszuführen. Es ist daher wichtig, bei der Gestaltung von Interfaces sowohl die Struktur als auch die Repräsentation von Zeichen sorgfältig zu berücksichtigen, um eine effektive und nutzerfreundliche Schnittstelle zu schaffen.
Wie ist es um den Begriff der Digitalisierung bestellt? Die Begriffe “Digitalität” und “Digitalisierung” beziehen sich auf verschiedene Aspekte der digitalen Revolution.
“Digitalität” bezieht sich auf den Zustand oder die Qualität, digital zu sein, was bedeutet, dass Daten in binärem Code (Nullen und Einsen) dargestellt werden, die von Computern verarbeitet werden können. Digitalität ist eine Eigenschaft der Technologie und des Mediums und nicht ein soziales oder kulturelles Phänomen. “Digitalisierung” bezieht sich auf den Prozess, analoges Informationen, Prozesse und Systeme in digitale zu verwandeln. Digitalisierung bezieht sich auf die sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Veränderungen, die durch die weit verbreitete Verwendung digitaler Technologien und die Integration digitaler Medien in verschiedene Aspekte der Gesellschaft entstehen. Kurz gesagt, ist Digitalität ein technisches Merkmal, während Digitalisierung die Auswirkungen und Transformationen bezeichnet, die digitale Technologie auf verschiedene Bereiche der Gesellschaft bringt.
Dabei muss angemerkt werden, dass diese Unterscheidung zunächst notwendig ist, um eine wichtige Qualität digitaler Medien begreiflich zu machen – ermöglichen sie doch prinzipiell eine Übertragung von Inhalten in einen anderen Kontext. Dies wurde erst möglich durch die Entkoppelung der Inhalte von Ihrer spezifischen Materialität. Sibylle Krämer bemerkt, dass das wesentlichste Merkmal der Digitalisierung die „Entmaterialisierung“ war: »,Entmaterialisierung’ […] meint: Die digitalisierten Daten können in beliebige Medienformate übertragen werden. Diese so faszinierende wie folgenreiche Intermedialität des Computers beruht gerade darauf, dass die Strukturen und Funktionen von Medien durch Digitalisierung von der ihnen im lebenspraktischen Zusammenhang stets zukommenden Materialität und Körperlichkeit abgelöst werden können.« (Sybille Krämer, Simulation und Erkenntnis. Über die Rolle computergenerierter Simulationen in den Wissenschaften, in: Nova Acta Leopoldina NF 110, Nr. 377, 2011, S. 313.) Wenn dies auf Digitalität zutrifft – ein Screen kann verschiedenste Inhalte zeigen – so muss man streng genommen aber davon ausgehen, dass auch ein Screen eine Materialität besitzt. Auch der Code eines Programms ist letztlich eine Ansammlung von in Zeichen übersetzten Signalen, der Code wird für uns erst in Form von Zahlen und Schrift lesbar. Wenn man von Digitalität spricht, dann ist genau genommen immer die Rede von Digitalität als etwas durch eine Materialität Vermitteltes. Dies aber möchte ich an dieser Stelle vernachlässigen, besteht doch der zentrale Charakter des digitalen darin, eben verschiedene Formen anzunehmen. So schreibt Jens Schrödter, der Digitalität ebenfalls mit einer Hybridisierung in Verbindung bringt – was zu einer Intermedialität mit besonderem Simualtions-Charakter führt: »Intermedialität meint auch mehr als die Hybridisierung der Künste, sofern sie auf Kombinationen von verschiedenen Künsten und Techniken beruhen. Intermedialität, wie wir sie heute verstehen, weiß um die Simulierbarkeit jeder Form medialer Eigenschaften durch ihre Programmierung.« (Jens Schrödter, Joachim Pech (Hg.): Intermedialität analog/digital. Theorien, Modelle, Analysen, München: Fink, 2008., S. 10).
Gerade, was die Simulation bestimmter ‚medialer Eigenschaften’ angeht, gilt es den Einfluss digitaler Werkzeuge auf das Design genauer anzusehen. Designer*innen sind Nutzer*innen von Interfaces, die wiederum klassische Werkzeuge des Zeichnens und Modellierens auf die Oberfläche des Bildschirms übertragen. So geschah eine ‚Entmaterialisierung’ einst handwerklicher, materieller Prozesse. Das Spezielle im Design ist, das diese immateriellen Werkzeuge im Design (insbesondere in den letzten Jahren) stets mit konkreten Materialien, Prozessen und Interaktionen verknüpft werden. Einerseits stellte die ‚Entmaterialisierung‘ von Entwürfe im Design eine wichtige Arbeitserleichterung dar. CAD-Programme ersetzten das Zeichnen von Hand und ermöglichten die Gestaltung anhand bisher ungesehener Formen. Gleichwohl hatten auch diese Werkzeuge problematische Züge – wenn sie ohne Modelle als Referenz gleich schon zu einer als endgültig verstandenen Gestaltung führten (Sennett) oder wenn formalästhetische Eigenheiten der CAD-Programme als Gestaltungsprinzip einfach übernommen wurden (Braun). Wohin ein Missverständnis der neuen Werkzeuge und Ihrer Qualitäten führt soll daher in einem eigenen Kapitel zu Modellierungsprozessen im Design, anhand von Beispielen aus dem Braun Modellarchiv, diskutiert werden. Diese sind vom Design der Interfaces in besonderer Weise beeinflusst.
Im weiteren Verlauf dieses Textes soll der prekäre Status der Unterscheidung zwischen analogen und digitalen Werkzeugen überprüft werden um dann in einem nächsten Schritt zu fragen, ob Design nicht, seit der Einführung digitaler Technik, überhaupt schon immer digitales und analoges verknüpft hat. Denn Design ist die Disziplin der Digitalisierung par ecellence, sofern Designer*innen nicht nur Nutzer*innen, sondern auch Gestalter*innen digitaler Werkzeuge sind.
Das offenkundigste Beispiel, das sich an dieser Stelle finden lässt, ist der 3D-Drucker, der auf ganz buchstäbliche Weise ‚digitale Dinge‘ – und zwar CAD-Daten – schichtweise in einen Gegenstand aus Kunststoff übersetzt. Dabei ist auch der 3D-Drucker selbst mit seinem Bauteilen in einem digitalen Designprozess entwickelt worden, aber selbst ein Werkzeug, das aus konkreten Materialien besteht. Ob der 3D-Drucker mehr ein digitales Objekt ist (er besitzt einen eingebauten Computer, ein Display, Sensoren) oder mehr ein analoges Objekt ist (er besitzt einen Druckkopf mit einer Düse, Zahnriemen, einen Motor und wird mit Kunststoffmaterial gefüttert) kann jedoch gar nicht mehr genau bestimmt werden. So bemerkt beispielsweise Chris Anderson: ».[…]over the past few years, something remarkable has happened. The process of making physical stuff has started to look more like the process of making digital stuff.« (Chris Anderson: Makers. The New Industrial Revolution, New York 2012, S. 24–25.) Es ist zu prüfen, ob nicht der Diskurs über die Verschmelzung des Analogen und des Digitalen, der im Zuge der Diskussion zur Makerbewegung stattfindet, auch im Design ein neues Nachdenken über Materialisierungsprozesse angeregt und auch neue Formen der Interaktion angeregt hat.
Ein weiteren interessanten Beispielkomplex bilden Arbeiten, die mit Augmented Reality experimentieren. Dabei möchte ich solche Designprojekte diskutieren, die AR als Werkzeug im Entwurfsprozess nutzen. Hier wird ganz buchstäblich auf der Ebene des Bildschirms ‚digitales‘ und ‚analoges‘ vermischt, es werden 3D-Modelle in die konkrete, situative Umgebung des Nutzers gemappt, die selbst nur ‚virtuell‘ existieren. Eine Kopplung der ansonsten ‚entmaterialiserten’ Modelle an diese Umgebung wird möglich durch Markierungen in der Umgebung (auch eine Art von Kartografie), die das virtuelle Modell auf dem Bildschirm eines Handheld-Devices (Tablet oder Smartphone) erscheinen lassen. Das bekannteste Beispiel dafür ist das Spiel Pokemon Go.
Es ist zu prüfen ob die Rede von einem ‚analogen Design‘ oder von Design als klarer, auf Materialien, und ‚produzierte’ Objekte im weitesten Sinne ausgerichteter Dsiziplin überhaupt noch Sinn macht. Der Medienwissenschaftler Felix Stalder hat auf den Umstand aufmerksam gemacht, dass wir in einer ‚Kultur der Digitalität‘ (2017) leben, in der das digitale längst alle Lebensbereiche durchdringt, auch diejenigen Bereiche, die man im allgemeinen Verständnis als ‚Analog‘ verstehen würde. Es wäre ein Missverständnis, zu vermuten, gegenwärtige Prozesse der Digitalisierung seien ausschließlich technologischen Innovationen zuzuschreiben. Vielmehr haben Prozesse der Digitalisierung nicht nur technische Ursprünge, sie sind auch kultureller Natur. Würde man also Designprozesse allein von der Blickrichtung der Technik her beschreiben, würde man die kulturellen Bedingungen ihrer Hervorbringung verdecken und damit einen wesentlichen Teil ihrer Genese ausser Acht lassen. Laut Felix Stalder werden Technologien erst relevant in einem bestimmten sozialen Kontext. Es wäre daher falsch, das Digitale als eine allein technische Revolution zu verstehen: »Etablierte kulturelle Praktiken und gesellschaftliche Institutionen haben schon lange vor den neuen Technologien und den mit ihnen einhergehenden neuen Anforderungen an die Einzelnen viel von ihrer Selbstverständlichkeit und Legitimität verloren.« (Stalder 2017, S. 21). Er beschreibt die Auflösung der Grenze zwischen ›dem Analogen‹ und ›dem Digitalen‹ (vgl. Stalder 2017). Stalder identifiziert das ‚Postdigitale‘ als eine Verschiebung, die die gesamte Kulturproduktion betrifft. Der irgeddnwie problematisch anmutende Begriff der »Postdigitalität« soll dabei nicht in dem Sinne verstanden werden, das Digitale sei vorüber oder obsolet, gemeint ist vielmehr der Umstand, dass Strategien des Digitalen die vorgestellten Designprojekte auf konzeptioneller und materieller Ebene durchdringen, wie Felix Stalder betont »[…] das Immaterielle ist nie ohne Materialität, im Gegenteil, die flüchtigen Impulse digitaler Kommunikation beruhen auf globalen, durch und durch materiellen Infrastrukturen, die von den Minen tief unter der Erdoberfläche, in denen Metalle der Seltenen Erden abgebaut werden, bis ins Weltall, wo Satelliten die Erde umkreisen, reichen […].« (Stalder 2017, S. 18). Im Design scheint mir das Phänomen des Postdigitalen wesentlich an Prozessen der Umsetzung und der Materialisierung zu hängen. Während das Digitale vormals Werkzeugcharakter hatte, und in erster Linie der Visualisierung von Entwürfen diente, so transformieren sich Design und Werkzeug in Designprozessen gegenseitig. Stalders Zugang zu dem Thema ist jedoch insofern spannend, als dass er aus historischer Perspektive argumentiert und rekonstruiert, wie auch solche Prozesse, die vor der Einführung digitaler Techniken lagen, von der Idee von Digitalität durchdrungen sind. Dies gilt dann insbesondere für das Industriedesign, mit seinen Prototyping- und Interaktionsprozessen. Laut Stalder ist Design sogar die Disziplin der Digitalisierung par excellence. Mehr noch: Alles Design der Gegenwart scheint ‚post-’digital in einem produktiven Sinne zu sein.
Gegenüber dem Gedanken des Interfaces als Hybrid gibt es noch eine weitere Idee, die das Design sehr stark beeinflusst hat, und die ihren Ursprung in der klassischen Kybernetik hat. Diese Ideen sind besonders dort wirksam, wo es um die Gestaltung der Interfaces für Designprozesse geht. Hier geht es – kurz gesagt – um ein Design durch ein autonomes System, das anstelle des Gestalters tritt. Für das Design leitet sich aus diesem Begriff von Digitalität ein Verständnis des Designprozesses ab.
Ein Leitgedanke der Kybernetik ist, dass wir irgendwann ganz und gar ohne die Gestaltung jeglicher Interfaces auskommen können sofern man Interface im Sinne von Bonsiepes Ontologischem Diagramm als Zusammenhang von Nutzer, Werkzeug und Handlung beschreibt. Sofern die kybernetischen Maschinen und Systeme sich selbst regulieren brauchen sie keine Interaktion mehr. So verstanden ist Künstliche Intelligenz die Auflösung von Interface. Dabei ist diese Prämisse problematisch: Ohne Interface, ohne Zugänglichkeut und Verständichkeit sind diese Maschinen, respektive die Algorithmen, black Boxes. Solche Ideen der Kybernetik der 1940er und 1950er Jahre, betonen eine Eigenständigkeit des Digitalen gegenüber anderen Strukturen.
Eine Anwendung kybernetischer Ideen auf Designprozesse nahm Christopher Alexander vor, der in den Notes of the Synthesis of Form 1964 Designprobleme basierend auf einer Binären Codierung (fit oder misfit der Form) in Systeme und Subsysteme unterteilt, die wiederum von strukturellen Diagrammen, den Patterns, repräsentiert wurden. Ebendiese Patterns konnten dann zu neuen Formen in je unterschiedlichen Kontexten verknüpft werden. Christopher Alexanders Designmethode nahm dabei Prinzipien des generativen Designs vorweg. Die Idee des solcherart rationalisierten Designprozesses hatte jedoch ein grundsätzliches Problem: Ein abstrakter, systematischer Analyseprozess verhalf den Designern nicht zu einer konkreten, gestalteten Form. Er unterschied klar zwischen Planung und Umsetzung, wobei sich die Notes on the Synthesis of Form allein auf die Planung beschränkten. Solche Begriffe von Digitalität stützen sich im Zuge bestimmter kybernetischer Prinzipien auf die Autonomie eines Systems, das unabhängig von anderen Akteuren agiert. Auf den Designprozess angewendet bedeutet dieser Gedanken, dass, entgegen eines Verständnisses von Design als Netzwerkhaftem Tun, Designprozesse in radikalisierter Form ganz ohne Designer*innen auskommen könnten, Künstliche Intelligenz könnte dann die Aufgabe des Entwerfens übernehmen. Zur Einordnung der Texte konnte ich insbesondere auf die Einordnung aus dem ‚Social Graph of Cybernetics‘ des Dubberly Design Office zurückgreifen.